Prof. Dr. med. Ullrich Graeven: „Vorsorgekoloskopie kann das Darmkrebsrisiko fast gegen Null bringen“

10.03.2022
Claudia Dechamps
Redakteurin

Ein erfahrener Facharzt mit internationaler Reputation, der sich vor allem als Leiter des Onkologischen Zentrums der Kliniken Maria Hilf Mönchengladbach einen Namen gemacht – das ist Professor Dr. med. Ullrich Graeven. Der Chefarzt der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Gastroenterologie gilt in der internistischen Onkologie als echte Koryphäe. So wurde sein Onkologisches Zentrum von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziert. Das ist ein Beleg dafür, dass  es den hohen fachlichen Anforderungen und den Ansprüchen an die Qualität der Gesellschaft voll und ganz entspricht. Mit Leading Medicine Guide sprach Prof. Graeven über Kolorektale Karzinome – im allgemeinen Sprachgebrauch Darmkrebs genannt. Und eben Darmkrebs ist eines der absoluten Spezialgebiete des renommierten Mediziners.

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Leading Medicine Guide: Herr Prof. Graeven, wir Laien wissen gar nicht, dass der Darm von innen ein durchaus ästhetischer Anblick sein kann: rosa, glänzend, durch die Muskelringe geformt wie eine interessante Plastik.

Prof. Dr. med. Ullrich Graeven: Das stimmt. Bei der Darmspiegelung kriegen wir wirklich ein, wenn man so sagen will, schönes Organ zu sehen. Und noch etwas Interessantes: Der Darm bleibt zeitlos schön, er sieht bei einem alten Menschen genauso aus wie bei einem jungen – eines der wenigen Organe, das kaum Alterserscheinungen zeigt.

Leading Medicine Guide: Und er ist ein Organ, bei dem Vorsorgeuntersuchungen wirklich helfen können, einen Krebs zu verhindern?

Prof. Dr. med. Ullrich Graeven: Ja, das ist richtig. Bei allen anderen Untersuchungen zur Früherkennung wird ein Krebs im frühen Stadium entdeckt, bei der Darmspiegelung entdecken wir die Vorstufe des Krebses. Diese Vorstufe sind die sogenannten Darmpolypen. Sie sind im Grunde harmlos, aber sie können sich nach einer gewissen Zeit zu einem bösartigen Tumor entwickeln. Dies ist der Grund, weshalb wir bei einer Darmspiegelung alle aufgefundenen Polypen auch entfernen. Man kann sie in der Regel gut erkennen, da sie sich von der normalen Darmschleimhaut unterscheiden. Im Koloskop, dem Gerät, mit dem wir die Untersuchung durchführen, befindet sich neben der Kamera und der Beleuchtung auch ein kleiner Arbeitskanal, durch den kleine Instrumente vorgeschoben werden können, so dass die Polypen dann z. B. mit einer Elektroschlinge abgetragen werden oder mit einer kleinen Zange einfach abgeknipst werden können. Einmal abgetragene Polypen können sich nicht mehr zu einem Tumor entwickeln, daher kann man durch eine Vorsorgekoloskopie auch sein persönliches Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, fast gegen Null bringen.

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© bilderzwerg / Fotolia 

Man kann daher sagen, dass die Darmspiegelung, die zur Vorsorge eingesetzt wird, wirklich hilft, den Krebs zu verhindern. Bei allen anderen Vorsorgeuntersuchungen geht es häufig darum, einen bösartigen Tumor frühzeitig zu erkennen, um dann noch bessere Heilungschancen zu haben. Bei der Darmspiegelung, wie gesagt, werden die Vorstufen der Tumorerkrankung entfernt und der Krebs tritt gar nicht erst auf. Ich kann deshalb nur jedem raten, die Vorsorge, die gesetzlich geregelt ist und die auch von den gesetzlichen Krankenkassen vollumfänglich erstattet wird, zu nutzen.

Leading Medicine Guide: Warum muss man eine Darmspiegelung zur Vorsorge nur alle zehn Jahre machen? Wie kommt es zu diesem langen Zeitraum?

Prof. Dr. med. Ullrich Graeven: Die Länge des Zeitintervalls erklärt sich daher, dass wir aus Untersuchungen wissen, dass es einen entsprechend langen Zeitraum benötigt, damit sich aus einem gutartigen Polypen ein bösartiger Tumor entwickelt. Daher haben wir ausreichend Zeit, mit den Vorsorgeuntersuchungen und auch mit den vorgesehenen Intervallen die Tumorentwicklung zu unterbrechen.

Leading Medicine Guide: Gibt es Faktoren, die das Wachstum von Karzinomen begünstigen?

Prof. Dr. med. Ullrich Graeven: Eine monokausale Ursache gibt es nicht, aber wir kennen eine Reihe von Faktoren, die hier eine Rolle spielen. Bei wenigen Patientinnen und Patienten liegt eine genetische Veranlagung vor. Bei der Mehrzahl von ihnen ist es die Kombination aus unterschiedlichen Faktoren, z. B. einer faserarmen Ernährung, des Verzehrs von viel rotem Fleisch; darüber hinaus tragen Nikotinkonsum, Bewegungsmangel, Übergewicht, Alkohol zur Entwicklung von Kolonkarzinomen bei. Da viele dieser Faktoren zu unserem westlichen Lebensstil gehören, ist es auch schwierig, hier allein durch Lebensstilveränderungen eine erfolgreiche Vermeidung zu erzielen. Deshalb hat die Darmkrebsvorsorge so eine große Bedeutung, weil wir eben die Möglichkeit haben, die entstandenen Polypen wirksam zu entfernen.

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Leading Medicine Guide: Wenn das nun der Fall ist, wie sieht die Therapie in der Regel aus?

Prof. Dr. med. Ullrich Graeven: Die Therapie eines Kolonkarzinoms setzt sich je nach Stadium und Ausbreitung der Erkrankung aus unterschiedlichen, wenn man so will, Bausteinen zusammen. Da ist zum einen die Operation, die Strahlenbehandlung oder auch die medikamentöse Chemotherapie. In frühen Stadien ist immer die Operation das Ziel und durch die Operation lässt sich bei einer Vielzahl der Patientinnen und Patienten die Voraussetzung zur Heilung schaffen. Alle Therapieformen haben in den letzten Jahren auch Fortschritte erlebt, sei es in einer Optimierung der Strahlentherapie, der laparoskopischen Chirurgie oder in letzter Zeit der robotischen Chirurgie. Im Bereich der medikamentösen Therapie sind in den letzten Jahren neuere Medikamente hinzugekommen, so dass auch hier die Therapieergebnisse gebessert werden konnten. Bei Tumoren des Mastdarms, also des Rektums, der letzten Zentimeter des Darms, findet häufig eine Kombination aller Therapien statt und es kann im Einzelfall erforderlich sein, dass vor einer geplanten Operation eine Strahlen- und Chemotherapie durchgeführt wird, um das Therapieergebnis und die Heilungschance zu verbessern. Für Patienten mit einem Kolonkarzinom ist in bestimmten Situationen nach Abschluss der Operation eine adjuvante Therapie erforderlich, die hilft, das Metastasenrisiko zu senken; auch hier wurden in den letzten Jahren deutliche Fortschritte erzielt und wir wissen heute, dass bei einer Vielzahl der Patientinnen und Patienten eine dreimonatige adjuvante Chemotherapie genauso wirksam ist wie die zuvor als Standard geltende sechsmonatige adjuvante Therapie. In den Kliniken Maria Hilf in Mönchengladbach nehmen wir auch laufend an nationalen und internationalen Studien teil, um die einzelnen Aspekte der Therapie zu verbessern.

Leading Medicine Guide: Wie sieht es aus mit der Immuntherapie beim Kolonkarzinom oder Darmkrebs, wie man allgemein dazu sagt?

Prof. Dr. med. Ullrich Graeven: Die Immuntherapien haben das Feld der Onkologie nachhaltig verändert. Früher ging man davon aus, man müsse das Immunsystem aktivieren, damit es selbst gegen bösartige Zellen vorgehen kann. Inzwischen wissen wir aber, dass eine Vielzahl von Krebszellen die Fähigkeit haben, sich so zu tarnen, dass ein an sich aktives Immunsystem sie nicht mehr erkennt. Die wissenschaftliche Erkenntnis über diese Vorgänge hat dazu geführt, dass mit sogenannten Checkpoint-Inhibitoren Medikamente, die als Infusion gegeben werden, den Tumorzellen quasi ihre Tarnkappe entzogen und das Immunsystem sie wieder erkennen und erfolgreich bekämpfen kann. Diese sogenannte Immuntherapie wurde bei vielen Tumorarten inzwischen erfolgreich eingesetzt. Beim Kolonkarzinom wissen wir, dass hier noch sicherlich die Entwicklung weiter voranschreiten muss, denn es gibt derzeit nur einen kleinen Anteil von Patienten, die von der Immuntherapie profitieren. Voraussetzung hierfür ist eine bestimmte genetische Veränderung der Tumorerkrankung, die sogenannte Mikro-Satelliten-Instabilität, bei deren Vorliegen ein gutes Ansprechen unter der Immuntherapie zu erwarten ist. Während im Gegensatz dazu bei Patienten, die dieses Merkmal in ihrem Tumor nicht aufweisen, die Immuntherapie noch nicht erfolgreich ist.

Leading Medicine Guide: Könnten Sie, für den Laien verständlich, den aktuellen Stand in Bezug auf die Immuntherapien beim Kolonkarzinom etwas näher beschreiben?

Prof. Dr. med. Ullrich Graeven: Dank der Molekular- und Tumorbiologie wächst unser Kenntnisstand über die Tumorerkrankungen stetig und auf dem Boden dieser Erkenntnisse ist es in den letzten Jahren gelungen, auch immer wieder neue Therapiekonzepte für gezielte Patientengruppen zu entwickeln. Ein Beispiel dafür ist die oben genannte Mikro-Satelliten-Instabilität, dies sind Veränderungen im Erbgut der Tumorerkrankungen, durch die es zu vermehrten Mutationen im Gewebe kommt. Diese Tumoren zeigen dann eine deutlich höhere Mutationsrate und sprechen besser auf die Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren an.

Leading Medicine Guide: Sprechen wir noch kurz über die Vorbeugung. Kann man Darmkrebs mit seinem Lebensstil verhindern? Was für eine Rolle spielt Aspirin dabei?

Prof. Dr. med. Ullrich Graeven: Ich hatte ja eingangs schon Faktoren genannt, die eine Entstehung von Darmkrebs begünstigen können. Wenn man sich diese Faktoren genau ansieht, dann sind dies eigentlich die gleichen Empfehlungen zur Lebensstilveränderung wie sie auch der Kardiologe zur Vermeidung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen geben würde und dies sind sicherlich grundsätzlich Ratschläge, die man nach Möglichkeit in seine Lebensführung integrieren sollte. Darüberhinausgehende medikamentöse Maßnahmen zur Vorsorge gibt es nicht. Es wurde immer über die Wirksamkeit von ASS (Acetylsalicylsäure) berichtet, hier ist auch ein gewisser Effekt auf das Wachstum von Polypen zu verzeichnen. Trotzdem hat sich bislang keine Empfehlung dafür ergeben, dass ASS grundsätzlich zur Vorbeugung eingesetzt soll, da hier die möglichen Nebenwirkungen von Blutungen dem Nutzen gegenüberstehen.

Leading Medicine Guide: Wenn jetzt die Vorbereitung auf die Darmspiegelung mit dem Trinken dieser Abführmittel nicht so unangenehm wäre, würde man die Untersuchung vielleicht lieber wahrnehmen.

Prof. Dr. med. Ullrich Graeven: Ja, leider führt an den Abführmaßnahmen kein Weg vorbei, denn wir müssen als Untersuchende eine freie Sicht auf den Darm haben. Nur so können wir auch kleinere Polypen erkennen und abtragen und damit die erforderliche Sicherheit der Untersuchung garantieren. Aber auch die Belästigung durch die Abführmaßnahmen ist individuell sehr unterschiedlich. Die Untersuchung selber wird in der Regel in einer leichten Sedierung durchgeführt, so dass die Patientinnen und Patienten von der Untersuchung selber eigentlich nichts Unangenehmes mitbekommen und danach mit dem guten Gefühl nach Hause gehen können, dass vom Darm her kein Unheil droht.

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Leading Medicine Guide: Herr Professor Graeven, wir bedanken uns herzlich für die interessanten und informativen Einblicke in Ihre Arbeit.

Wer direkt Kontakt mit dem renommierten Spezialisten aufnehmen möchte, kann das über seine Profilseite des Leading Medicine Guide direkt tun.

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