Niedriggradiges Gliom: Spezialisten und Informationen

15.06.2023
Prof. Dr. med. Ralf A. Kockro
Medizinischer Fachautor

Etwa 30 - 40 % der Patienten mit Hirntumoren haben ein Gliom. Etwa 60 % der Patienten sind Männer, 40 % Frauen. Der Altersgipfel liegt bei Gliomen zwischen 40 und 65 Jahren, aber auch bei Kindern treten Gliome recht häufig auf. 

Niedriggradige Gliome entstehen aus entarteten Stützzellen des Nervengewebes und wachsen meist nur langsam. Sie sind geringgradig bösartig, daher auch der Name. Im Englischen werden sie entsprechend als „low grade glioma“ bezeichnet. Die Behandlung der niedriggradigen Gliome ist nicht leicht und erfordert deshalb unter anderem eine spezialisierte Neurochirurgie.

Im Folgenden finden Sie weitere Informationen sowie ausgewählte Spezialisten für ein niedriggradiges Gliom.

ICD-Codes für diese Krankheit: C71

Empfohlene Spezialisten für ein niedriggradiges Gliom

Artikelübersicht

Definition: Niedriggradige Gliome

Niedriggradige Gliome gehören zu den soliden Tumoren und entstehen aus veränderten Zellen des Gehirns bzw. des Rückenmarks. Ihr Ursprung liegt direkt im Zentralnervensystem (ZNS), daher werden die niedriggradigen Gliome auch als primäre ZNS-Tumoren bezeichnet.

Prinzipiell können solche niedriggradigen Gliome an jeder Stelle des ZNS entstehen. Allerdings entwickeln sie sich an manchen Stellen gehäuft:

  • bei Kindern vor allem im Bereich des Kleinhirns oder in den zentralen Anteilen des Großhirns,
  • bei Erwachsenen überwiegend im Großhirn.

Ursachen des niedriggradigen Glioms

Wodurch niedriggradige Gliome entstehen, ist nach wie vor weitgehend unbekannt.

Ausgangspunkt der Tumorentstehung sind die Stützzellen des ZNS, die sogenannten Gliazellen. Die am häufigsten im ZNS vorkommenden Gliazellen heißen Astrozyten und Oligodendrozyten. Geht das Gliom auf deren Zellveränderungen zurück, sprecht man daher auch von einem Astrozytom bzw. Oligodendrogliom oder Oligonedrozytom.

Nur etwa 5% der Fälle der Zellveränderungen bei Erwachsenen, die schließlich zum Tumor führen, gehen auf erbliche Genveränderungen zurück.

Darüber hinaus scheinen bestimmte angeborene Fehlbildungen das Risiko für niedriggradige Gliome zu erhöhen. Hierzu gehören z.B.

So kommt es beispielsweise bei jedem fünften Kind mit angeborener Neurofibromatose Typ 1 bereits früh im Leben zu niedriggradigen Gliomen. 

Auch vorausgegangene Krebserkrankungen können ein Risikofaktor für das niedriggradige Gliom sein. So erhöht eine Bestrahlung von Leukämie-Patienten im Kindesalter deren späteres Risiko, an einem solchen Hirntumor zu erkranken.

Einteilung niedriggradiger Gliome 

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) teilt die Gliome in vier Risikoklassen (Grade I–IV) ein. Die niedriggradigen Gliome finden sich in den Risikoklassen I und II. Die Grade III und IV sind hingegen den höhergradigen Gliomen vorbehalten.

Grad I-Gliome zählen zu den gutartigen ZNS-Tumoren, die langsam wachsen und meist eng begrenzt bleiben. Grad I-Gliome können zwar verdrängend wachsen, zerstören jedoch keine Gewebeschichten oder breiten sich nicht in tieferliegendes Gewebe aus.

Dahingegen wachsen Grad II-Gliome diffus und auch in die umliegenden Gewebe hinein.

Der Übergang vom Grad II zu einem Grad III-Gliom (= Dedifferenzierung) ist beim Erwachsenen fließend- Bei Kindern kommt das hingegen nur selten vor. 

Welche Symptome verursacht ein niedriggradiges Gliom?

Die Symptome eines niedriggradigen Glioms richten sich überwiegend nach der Lage des Tumors im ZNS sowie nach dessen Ausbreitung. Unterschieden werden allgemeine und spezifische Symptome.

Die Allgemeinsymptome des niedriggradigen Glioms sind unspezifisch und dadurch wenig charakteristisch. Das heißt, sie finden sich ebenfalls bei anderen Erkrankungen. Zu diesen allgemeinen Symptomen zählen:

Das niedriggradige Gliom entwickelt sich oft schleichend. Oft wächst es über mehrere Jahre. Typischerweise können während dieser Zeit Symptome auftreten, die sich dann je nach betroffenem Bereich des ZNS wie folgt äußern:

  • Liegt das Gliom – wie bei Kindern häufiger zu beobachten – im Bereich des Kleinhirns, kommt es zu Gleichgewichts-, Gang- und Bewegungsstörungen
  • Ein niedriggradiges Gliom im Bereich des Großhirns hingegen führt nicht selten zu Krampfanfällen, Lähmungen oder Sprachstörungen.
  • Liegt der Tumor indes im Rückenmark, können verschiedene Lähmungen, Sensibilitätsstörungen und Schmerzen auftreten.

Wie wird das niedriggradige Gliom diagnostiziert?

Häufig handelt es sich bei der Diagnose des niedriggradigen Glioms um einen Zufallsbefund. Erste Hinweise auf einen möglicherweise bösartigen (malignen) Tumor im ZNS ergeben sich aus

  • der Anamnese (Krankheitsgeschichte) sowie
  • der körperlichen und neurologischen Untersuchung.

Dabei fallen in der Regel auch Ausfälle, Lähmungen oder Gangstörungen auf. Für die weitere Abklärung des Tumorverdachtes stehen verschiedene bildgebende Verfahren zur Auswahl, z. B.

Mithilfe dieser Methoden kann der Arzt ein niedriggradiges Gliom nachweisen und gleichzeitig auch dessen Größe und Lage im ZNS bestimmen. Im PET lassen sich besonders aktive Tumorzentren, die sogenannten “hot spots“, räumlich darstellen.

Im Gegensatz zu höhergradigen Gliomen nehmen low-grade-Gliome kein Kontrastmittel auf. Dadurch stellen sie sich im MRT eher als diffuse Wolke dar. Das liegt daran, dass die Blut-Hirn-Schranke zumeist intakt ist und das Kontrastmittel noch nicht in den Tumor übertreten kann. Das ist für die Prognose prinzipiell ein positiver Prädiktor.

Eine Gewebeprobe des niedriggradigen Glioms dient der letztendlichen pathologischen Beschreibung des Tumors. Dabei wird der Tumor feingeweblich und molekularbiologisch charakterisiert. Eine wichtige Rolle spielen dabei insbesondere

  • der IDH-Mutationsstatus,
  • der MGMT-Promoter-Status und
  • die 1p/19q-Kodeletion. 

Bei den niedriggradigen Gliomen wird insbesondere auf den IDH-Mutationsstatus geachtet. Dabei handelt es sich um die Isocitratdehydrogenase, deren Gen in dieser Art von Tumor relativ häufig mutiert. Einerseits erhöht sich dadurch die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Gliom über die Zeit in einen höhergradigen Tumor dedifferenziert. Andererseits spricht diese Tumorgruppe besser auf eine Chemotherapie an, sodass diese gezielter eingesetzt werden kann 

Die 1p/19q-Kodeletion gibt Auskunft über die Beschaffenheit der Chromosomen in den mutierten Tumorzellen. Die menschliche DNA ist in den sogenannten Chromosomen aufgewunden. Insbesondere bei Oligodendrogliomen kommt es zu einem Segment-Verlust an den Chromosmen 1 und 19. Liegt diese Deletion vor, sprechen die Tumore andererseits gut auf eine medikamentöse Chemotherapie an. Sie würde sich einer operativen Entfernung des Tumors anschließen.

X- und Y-Chromosom
X- und Y-Chromosomen enthalten die eigentlichen DNA-Stränge © SciePro | AdobeStock

Der MGMT-Promoter ist in gesunden Zellen für die Reparatur von geschädigten Anschnitten in der DNA zuständig. Täglich werden verschiedenste DNA-Abschnitte der Chromosomen abgelesen und vervielfältigt, wobei Fehlcodierungen auftreten können. Der MGMT-Promoter sucht nach diesen Schäden und repariert sie.

In Gliomen, vor allem in den Glioblastomen, ist dieser Promoter oft methyliert. Das bedeutet, es sind fälschlicherweise Kohlenstoff- und Wasserstoffatome angedockt. Dadurch wird das Enzym inaktiv und DNA-Schäden können nicht mehr repariert werden. Deswegen sprechen Tumoren, bei denen ein methylierter MGMT-Promoter vorliegt, besser auf die kombinierte Therapie aus Chemotherapie und Bestrahlung an.

Welche Therapie steht für das niedriggradige Gliom zur Verfügung?

In erster Linie werden niedriggradige Gliome operativ behandelt. Das Ziel ist die komplette chirurgische Entfernung des Tumors.

Unter Umständen kann der Tumor nicht restlos entfernt werden, etwa

  • aufgrund seiner Lage,
  • bei mehreren Tumorherden oder
  • aufgrund seines gelegentlich weiträumig infiltrierenden Wachstums.

Eine weiterführende Operation würde neurologische Schäden am Gehirn riskieren.

In solchen Fällen wird das funktionell noch aktive Mischgewebe aus Gehirn und Tumorgewebe belassen. Auch abhängig von der histologischen und molekularbiologischen Analyse (siehe oben) erfolgt dann 

  • eine Nachbeobachtung oder
  • eine Behandlung mittels Strahlentherapie und/oder Chemotherapie.

Wachkraniotomie: Spezialisiertes OP-Verfahren bei erwachsenen Gliom-Patienten

Die Wachkraniotomie ist eine spezialisierte Operationsform zur Tumorresektion im ZNS. Sie kommt bei

  • umschriebenen niedriggradigen Gliomen mit infiltrierendem Wachstum und multiplen Tumorherden und
  • höhergradigen Tumoren

zum Einsatz.

Ihr großer Vorteil besteht darin, dass der Patient während der Operation kurzzeitig ansprechbar ist. So ist es möglich, sehr nahe am gesunden Hirngewebe zu operieren.

Die Patienten liegen zu Anfang der Operation in voller Narkose. Der Chirurg eröffnet dann den Schädel und stellt einen Zugangsweg zum Tumor her. Sobald das Zielgebiet erreicht ist, lässt man die Patienten behutsam aufwachen. Das Präparieren im Gehirn verursacht keinen Schmerz, da das Hirngewebe keine Schmerzrezeptoren besitzt.

Neuropsychologen und Neurologen begleiten die Wachoperation. Sie führen vor der Operation verschiedene Tests mit den Patienten durch, die sie während der Operation wiederholen. 

Die Hirnfunktionen werden gleichzeitig über das sogenannte „brain mapping“ im Operationsgebiet durch kurze mikroelektrische Stimulationen sichtbar gemacht. Dadurch erhalten die Ärzte eine Funktionskarte des Gehirns. Mit deren Hilfe entscheiden die Ärzte, in welchen Bereichen Tumorgewebe gefahrlos entfernt werden kann, ohne dass es zu Ausfällen

  • der Motorik,
  • der Sprache oder
  • anderer Sinneswahrnehmungen

kommt. Zeigen sich bei verschiedensten feinelektrischen Stimulationen Hinweise auf Defizite, spürt der Patient sie im intraoperativen Wachzustand sofort. Die Chirurgen passen die Tumorresektion dann entsprechend an und präzisieren sie. 

Oft wird begleitend zur Wachoperation

  • das intraoperative MRT,
  • der hochauflösende Ultraschall,
  • Tumorfluoreszenz und
  • 3D-Navigation

eingesetzt. 

Prognose beim niedriggradigen Gliom

Das niedriggradige Gliom hat bei vollständiger Tumorresektion eine gute Prognose. Annähernd 90 % der Patienten überleben langfristig.

Studien haben gezeigt, dass das Ausmaß der Tumorresektion einer der wichtigsten Parameter für eine möglichst günstige Prognose ist. Daher sollten alle zur Verfügung stehenden technischen Mittel eingesetzt werden. Damit können die Chirurgen eine Balance zwischen der maximalen Tumorresektion und dem Risiko eines operationsbedingten neurologischen Defizits halten.

Auch bei einem verbleibenden Tumorrest lässt sich die Prognose positiv beeinflussen. Dazu müssen die Onkologen die richtige und maßgeschneiderte Radio- und/oder Chemotherapie festlegen.

Dies geschieht immer durch ein interdisziplinäres Team von Spezialisten aus den Fachbereichen der

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