Taubheit: Informationen & Taubheit-Spezialisten

19.04.2022
Prof. Dr. med. Peter Issing
Medizinischer Fachautor

In Deutschland sind etwa 0,1 Prozent der Bevölkerung, ca. 80.000 Menschen, gehörlos. Gehörlosigkeit bzw. Taubheit liegt vor, wenn Geräusche und Töne nicht oder nur stark eingeschränkt wahrgenommen werden. Die Laute dringen bei tauben Menschen zwar in das Ohr, doch das Hörorgan kann diese nicht verarbeiten oder weiterleiten. Hier finden Sie weiterführende Informationen sowie ausgewählte Spezialisten und Zentren für Taubheit.

ICD-Codes für diese Krankheit: H90

Empfohlene Spezialisten für Taubheit

Artikelübersicht

Definition: Taubheit

Unter Taubheit versteht man den beiderseitigen vollständigen Verlust des Hörvermögens. Darüberhinaus grenzt die Medizin die absolute Taubheit und von einer praktischen Taubheit voneinander ab.

Bei praktischer Taubheit können Betroffene einzelne Töne oder Geräusche noch wahrnehmen. Bei der absoluten Taubheit ist dagegen gar kein Höreindruck mehr vorhanden.

Ursachen für Gehörlosigkeit bzw. Taubheit

Taubheit kann angeboren oder im Laufe des Lebens durch Erkrankungen erworben sein. Eine angeborene, d.h. vor dem Zeitpunkt der Sprachbahnentwicklung entstandene Taubheit, wird als prälinguale Taubheit bezeichnet.

Schwere angeborene Hörschäden können erbbedingt oder durch Einflüsse während der Schwangerschaft entstehen.

Eine erblich bedingte Taubheit ist dadurch gekennzeichnet, dass Teile des Hörorgans wie

  • das Mittelohr,
  • das Innenohr oder
  • der Hörnerv

nicht, oder nur unvollständig ausgebildet sind. Kinder tauber Eltern können dann ebenfalls taub zur Welt kommen.

Viele erblich bedingte Schwerhörigkeiten sind mit Schäden an anderen Organen,

kombiniert. Bekannte Syndrome mit Taubheit sind unter anderem

  • das Usher-Syndrom mit Einschränkung des Sichtfelds oder
  • das Waardenburg-Syndrom, bei dem Pigmentanomalien in Haut, Haaren oder in den Augen auftreten, sowie
  • das Alport-Syndrom,
  • das Jervell-Lange-Nielsen-Syndrom,
  • das Waardenburg-Syndrom,
  • das Cockayne-Syndrom und
  • das Pendred-Syndrom.

Manche Schwerhörigkeiten entstehen intrauterin, d.h. noch vor der Geburt während der Schwangerschaft. Hochgradige intrauterin entstandene Schwerhörigkeiten sind meist auf

  • Infektionen mit Viren wie z.B. Röteln, Zytomegalie oder Toxoplasmose oder
  • Bakterien wie Lues

Toxische Schäden können auf

  • Medikamente wie bestimmte Antibiotika, Diuretika, Zytostatika oder
  • Gifte wie Alkohol oder Nikotin

zurückzuführen sein.

Taubheit kann auch perinatal, also im Rahmen der Geburt auftreten. Risikofaktoren sind

  • Frühgeburt,
  • Kernikterus oder
  • Atemstillstand mit Sauerstoffmangel.

Nach der Geburt (postnatal), erworbene Taubheit kann durch infektiöse Hirnerkrankungen wie Meningitis oder Enzephalitis auftreten. Auch

können eine Taubheit hervorrufen.

Die Anatomie des Ohres
Die inneren Strukturen des Ohrs © Henrie | AdobeStock

Tritt die Taubheit erst nach Erlernen der Sprache auf, wird sie als postlinguale Taubheit bezeichnet. Ursachen sind dann

  • Hirntumoren,
  • Hirnerkrankungen wie Multiple Sklerose,
  • schwere Schädel-Hirn-Traumata,
  • akustische Unfälle wie Explosionen oder Barotraumata,
  • schwere Infektionen z.B. mit Herpesviren,
  • Zellgifte und Medikamente wie Chemotherapeutika oder Schleifendiuretika, sowie
  • Antibiotika wie das Gentamycin.

In seltenen Fällen liegt eine psychogene Taubheit im Sinne einer dissoziativen Hörstörung vor. Ferner sind auch hier genetisch angeborene Neigungen zu Hörverlust bekannt.

Symptome der Gehörlosigkeit bzw. Taubheit

Gehörlöse können keinerlei Geräusche und Töne wahrnehmen. Die Kommunikation ist somit mit der hörenden und sprechenden Umwelt bei einseitiger Taubheit erschwert. Bei beidseitiger Taubheit können Betroffene Sprache und Sprechen nicht oder nur erschwert erlernen.

Taubheit beeinträchtigt Sozialkontakte und Berufschancen erheblich und führt oft auch zu Persönlichkeitsentwicklungsstörungen.

Die erste Lallperiode beginnt auch bei gehörlosen Kindern ab der 6. Woche bis zum 6. Monat. Das Alter bei der Erkennung von Taubheit liegt ohne entsprechende Neugeborenenhörscreening-Programme bei durchschnittlich mehr als zwei Jahren. 

Bei angeborener Schwerhörigkeit können wie o. a. gleichzeitig Schäden an anderen Organen wie etwa

  • Augen,
  • Knochen,
  • Nieren,
  • Haut

auftreten.

Diagnose der Gehörlosigkeit bzw. Taubheit

Die Diagnose von Taubheit erfolgt durch spezielle Hörtests. Bei Verdacht auf Taubheit erfolgt zunächst ein Anamnesegespräch mit dem Patienten oder dessen Eltern. Danach führt der Arzt eine Untersuchung im Hals-Nasen-Ohrenbereich durch.

Die eigentlichen Hörtests sind danach bspw.

  • das Tonaudiogramm, bei dem Töne verschiedener Frequenzen getestet werden oder
  • das Freiburger Sprachaudiogramm, bei dem Zahlen und Wörter geprüft werden.

Um den Ort des Funktionsverlustes zu finden, werden in der Regel folgende weitere Untersuchungen durchgeführt:

  • Messung otoakustischer Emissionen (OAE) zum objektiven Nachweis einer Schädigung der äußeren Haarzellen im Innenohr
  • objektiver Hörtest wie eine BERA (Brainstem Evoked Response Audiometry) oder CERA (Cortical Evoked Response Audiometry) zur Diagnostik von Schädigungen zwischen Hörschnecke und den verarbeitenden Hirnanteile
  • Gleichgewichtsprüfung zum Ausschluss einer Mitbeteiligung des Gleichgewichtsorgans
  • Computertomographie (CT) und/oder Magnetresonanztomographie (MRT) zum Nachweis anatomischer Veränderungen im Bereich der Hörschnecke oder des Hörnerven
  • Promontorialtest zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit des Hörnerven. Dazu wird eine kleine Elektrode durch das Trommelfell direkt auf den Knochen (Promontorium) platziert und hier anstelle von Tönen Stromimpulse verwendet. Diese Impulse empfindet der Betroffenen als Töne.

Standard heute sind bei Neugeborenen und kooperationsunwilligen bzw. -fähigen Patienten die als Neugeborenenhörscreening bezeichneten OAE- und BERA-Messungen.

Beim Neugeborenenscreening wird das Neugeborene ein oder zwei Tage nach der Geburt auf seine Hörfähigkeit getestet. Eventuelle Hörstörungen werden dadurch frühzeitig erkannt und können behandelt werden.

Behandlung von Taubheit

Ohne eine entsprechende Therapie wird sich die Gehörlosigkeit nicht bessern. Bei der Therapie unterscheidet man zwischen konservativen und operativen Maßnahmen.

Das Ziel einer Gehörlosen-Therapie der Taubheit besteht darin, die Fähigkeiten der Patienten im Alltag zu verbessern.

Kausale Therapie und Operation bei Taubheit

Bei der akuten Ertaubung besteht die Möglichkeit einer kausalen Therapie. Darunter versteht man zunächst konservative Behandlungen

  • mit Antibiotika,
  • Infusionen z.B. mit Kortison, sowie
  • durchblutungsfördernden Maßnahmen.

Wirken diese Mittel nicht, so besteht auch die Möglichkeit zur Operation. Hierbei wird wahlweise in lokaler Betäubung oder Vollnarkose das Mittelohr eröffnet und die darin vorhanden anatomischen Strukturen auf ihre Funktion überprüft.

Hörgeräte bei Taubheit

Verbessert sich das Hören nicht, kommen Hörgeräte zum Einsatz. Dabei können die Hörgeräte

  • im Gehörgang, also weitestgehend nicht sichtbar, oder
  • hinter dem Ohr

getragen werden. Sie haben die Funktion, die ankommenden Töne und Geräusche zu verstärken. Betroffene Menschen können den Verstärker individuell der jeweiligen Situationen anpassen.

In seltenen Fällen gelangen speziell angepasste Hörgeräte wie z. B. CROS-Hörgeräte (Contralateral Routing Of Sound) zum Einsatz, wenn

  • noch ein Rest-Hörvermögen vorhanden ist oder
  • die Taubheit nur auf einem Ohr vorliegt.

CROS-Hörgeräte können die Aufnahme des Schalls der ertaubten Seite über eine Leitung des Schalls zur gesunden Seite durchzuführen. Dadurch imitieren sie das Richtungshören.

Cochlea-Implantat bei Taubheit

Sind die anatomischen Strukturen intakt, besteht auch die Möglichket der Nutzung eines Cochlea-Implantats. Bei einer hochgradigen beiderseitigen Schwerhörigkeit oder einer vollständigen Taubheit kann das Implantat die Hörfunktion ersetzen.

Das Cochlea Implantat besteht aus einem inneren und einem äußeren Teil. Der innere Teil mit einer Elektrode wird dirket in die Hörschnecke implantiert. Der äußere Teil ist ein Mikrofon mit einem Sprachprozesser, der außen am Kopf meist hinter dem Ohr getragen wird.

Cochlea-Implantat bei einem Kleinkind
Cochlea-Implantate sollten möglichst früh eingesetzt werden, damit Kinder normal die Sprechfähigkeit erlangen können © satura_ | AdobeStock

Die Energieversorgung des Implantats gelingt über die elektromechanische Induktion durch die Kopfhaut. Das innere Implantat benötigt daher keine regelmäßigen Batteriewechsel.

Das äußere Mikrofon nimmt Schallwellen auf, die der Sprachprozessor in elektrische Impulse umwandelt. Über die Elektroden in der Hörschnecke gelangen sie direkt zum Hörnerven, der die Schallwellen an das Gehirn übermittelt

Dabei sollten folgende Voraussetzungen für ein Cochlea-Implantat erfüllt sein:

  • prä-, peri- und postnatal ein- oder beidseitig ertaubte Kinder mit bestehender Leitfähigkeit des Hörnerven
  • ein- oder beidseitig ertaubte bzw. hochgradig schwerhörige Jugendliche und Erwachsene
  • möglichst positives Ergebnis im Promontorialtest
  • ausreichende anatomische Voraussetzungen (Hörschnecke bzw. Schneckenwindung muss vorhanden sein)
  • keine schwerwiegenden Grunderkrankungen oder rezidivierende Entzündungen
  • nachgewiesene Lernfähigkeit und Lernwilligkeit bei Erwachsenen
  • Gewährleistung einer entsprechenden Rehabilitation
  • intaktes und motiviertes soziales Umfeld

Hirnstamm-Implantat bei Taubheit

Liegen Schäden an den Hörnerven vor, besteht die Möglichkeit eines Hirnstamm-Implantats. Dabei reizen Elektroden direkt die Hörnervenkerne im Gehirn.

Die Implantation erfolgt als neurochirurgischer Eingriff. Eine intensive Rehabilitation in Spezialzentren ist ebenfalls erforderlich.

Andere Kommunikationswege bei Taubheit

Ist eine Therapie nicht möglich, müssen die beiderseits betroffenen Patienten mit Gehörlösigkeit leben. Das beutet aber nicht, auf Kommunikation komplett verzichten zu müssen.

Lippenlesen und die Gebärdensprache helfen den Betroffenen, sich mit ihrer Umwelt zu verständigen.

Mädchen lernt die Gebärdensprache
Mittels Gebärdensprache und Lippenlesen können sich Gehörlose gut verständigen © fizkes | AdobeStock

Heilungsaussichten und Nachsorge

Insbesondere bei der angeborenen Form oder einer hochgradigen Schwerhörigkeit wirkt sich eine frühe Diagnose und Behandlung positiv auf die Sprachentwicklung aus.

Entscheidend für den Erfolg eines Cochlea-Implantats ist eine anschließende Rehabilitation. Diese ist sehr umfangreich und wird in speziellen Zentren durchgeführt, die oft als CIC (Cochlea Implant Centrum) bezeichnet werden. Hier muss das Hören und Sprechen „neu“ erlernt werden. Nur ein ständiges Training und eine entsprechende Motivation führen zu guten Erfolgen.

Bei Kindern, die von Geburt an taub sind, werden die Implantate vor dem Ablauf des 1. Lebensjahres eingesetzt. Hier steht auch die Frühförderung in Form von Sprech- und Spracherziehung im Vordergrund. So können sie wie gesunde Kinder ganz normal die Sprach- und Sprechfähigkeit erwerben. In vielen Fällen können Betroffene dann auch eine Regelschule besuchen.

Bei Erwachsenen, die ertauben, ist eine Cochlea Implantation meist dann Erfolg versprechend, wenn

  • die Ertaubung nicht zu lange bestand,
  • kognitive Vorraussetzungen vorhanden sind und
  • sie die Motivation zum erneuten Lernen des Hörens mitbringen.

Krankenkassen übernehmen die Kosten für die Operation und die Nachsorge.

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