Die Entstehungsgeschichte der Phoniatrie
Im Jahre 1966 wurde die Arbeitsgemeinschaft deutschsprachiger Phoniater gegründet, aus der später die Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V. wurde. Trotzdem blieben Phoniatrie und Pädaudiologie bis 1978 ein unspezifiziertes Randgebiet der Medizin. Ab 1978 wurden die Teilgebiete nach und nach in die HNO-Heilkunde eingegliedert. Entstanden als Spezialdisziplinen der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, wurden die beiden Gebiete in den Neunzigerjahren auf Beschluss des Deutschen Ärztetages 1993 zu vollständig anerkannten Fachgebieten. Mittlerweile können sich Mediziner im Rahmen einer fünfjährigen Ausbildung auf die beiden Fachgebiete spezialisieren und ihre Patienten als Fachärzte für Phoniatrie und Pädaudiologie betreuen.
Schwerpunkte der Phoniatrie
Die meisten Sprachentwicklungsstörungen treten bereits im frühen Kindesalter auf. Dementsprechend beschäftigt sich die Phoniatrie vor allem mit den neurologischen Besonderheiten von frühkindlichen Hirnfunktionen. Hierbei bemüht sich das Fachgebiet um eine frühzeitige Erkennung von Sprach- oder Schluckstörungen und konzentriert sich in der Folge auf deren Rehabilitation. Aber auch im späteren Verlauf des Lebens können Kommunikationsbeschwerden auftreten, etwa als Folge eines psychischen Traumas. In Kooperation mit der Psychologie forscht die Phoniatrie hierbei nach den Ursachen der Sprachstörung. Mittlerweile gibt es eine Reihe von Forschungsprojekten im Bereich der Phoniatrie. Dazu gehören unter anderem Experimente wie das Singen und das Spielen von Blasinstrumenten zur Erhebung artikulatorischer Funktionsbilder sowie Untersuchungen zur Zungenmotorik bei Verdacht auf eine neurologische Systemerkrankung.
Wo wird die Phoniatrie eingesetzt?
Zu den Anwendungsgebieten der Phoniatrie zählen alle
Fehlbildungen des Mund- und Rachenraumes, die artikulatorische Beschwerden und Schluckstörungen zur Folge haben. Innerhalb der Phoniatrie wird zwischen verschiedenen Störungen unterschieden. Neben
Schluckstörungen und
organischen Fehlbildungen unterteilt man Probleme bei der Artikulation in
Sprech- und Sprachstörungen. Viele Störungen sind das Produkt einer genetischen Veranlagung. Mögliche ererbte Störungen sind:
- Pierre-Robin-Syndrom
- Treacher-Collins-Syndrom
- Charge-Syndrom
- Down-Syndrom (Trisomie 21)
- Trisomie 13 und Trisomie 18
Sprachstörungen definieren sich durch eine
neurologische Behinderung des Sprechapparates, zum Beispiel bei Sprachentwicklungsverzögerungen, beim Fehlen von synaptischen Verzweigungen oder bei selektivem Mutismus. Letzterer bezeichnet den Fall, dass ein Kind nur mit bestimmten Personen spricht, obwohl es rein physisch durchaus uneingeschränkt in der Lage ist zu sprechen. Beispiele für Sprachstörungen können sein:
- Komplikationen bei der Wortfindung
- Probleme bei der Unterscheidung von Lauten
- Syntaxfehler (Probleme bei der Formulierung grammatikalisch richtiger Sätze)
- semantische Fehlbezeichnungen (z. B. Wolke statt Himmel)
Unter Sprechstörungen werden hingegen Besonderheiten im Redefluss und in der linguistischen Performanz verstanden. Zu den Sprechstörungen wird weiterhin auch die
Lähmung von Gesichtsnerven gezählt. Beispiele für Sprechstörungen sind:
- Stottern (lückenhafte Artikulation)
- Mutismus (Stummheit)
- Poltern (überhastete Artikulation)
- Dyslalie (Probleme bei der Artikulation von Lauten)
- Dysarthrie (unklare, genuschelte Aussprache)
- Dysglossie (hervorgerufen durch organische Veränderungen)
Zusätzlich zu den aufgeführten Unterteilungen wird auch die
Stimme im Einzelnen untersucht, um Veränderungen oder Anomalien aufzuzeichnen und in ein Gesamtbild einzufügen. Mögliche Ursachen von Dysphonien (Stimmstörungen):
- organische Fehlbildungen (Reflux, Stimmbandknötchen, Lähmungen)
- Polypen im HNO-Bereich
- Verätzungen und Verletzungen
- Infektionen der Atemwege
Durchführung einer Diagnostik in der Phoniatrie
Zunächst einmal erheben Phoniater die Krankengeschichte des Patienten (Anamnese) und untersuchen die Symptomatik. Sie formulieren einen ersten Verdacht, den sie mit Hilfe von Zweitmeinungen anderer Berufsgruppen überprüfen. Grundlegend bei Kommunikationsstörungen ist die Ursachenforschung. Rühren die Beschwerden von organischen oder neurologischen Ursachen her? Gibt es einen psychologischen Grund für die auftretenden Symptome? Oder sind sie unter Umständen das Resultat einer verschleppten Infektion? Bei neurologischen Verfahren werden die Ströme und Areale des Gehirns kontrolliert. Unter Zuhilfenahme von diagnostischen Methoden wie MRT, CT und EEG können Schäden oder Anomalien in der Hirnfunktion festgestellt werden. Durch Tests wie Röntgen oder akustische Sprachtests wird die Funktion der beteiligten Organe überprüft. Bei Schluckbeschwerden lassen sich minimalinvasive Untersuchungen durch die Nase und über den Mund durchführen. Fällt eine Diagnose dennoch schwer, liegt eine psychologische Ursache nahe. In diesem Fall werden Psychologen oder (Sprach-)Therapeuten eingeschaltet.
Behandlungsmethoden der Phoniatrie
Die Anzahl möglicher Behandlungsmethoden ist so zahlreich wie das Spektrum der zu behandelnden Ursachen selbst. Im Falle von Sprachentwicklungsstörungen, wie Behinderungen oder Verzögerungen, wird oftmals eine
Sprachtherapie angewandt. Kann diese Art der Therapie die Kommunikationsschwierigkeiten nicht beheben und sollten sich möglicherweise Verschärfungen der Problematik ergeben, ist oftmals eine Form der sogenannten
Unterstützten Kommunikation angedacht, die mithilfe spezieller Geräte zu einer Verbesserung der kommunikativen Möglichkeiten beitragen kann. Es gibt jedoch auch
operative Verfahren in der Phoniatrie, wie zum Beispiel die
Adenotomie. Diese routinemäßige Entfernung der Rachenmandeln wird in der Regel von einem Hals-Nasen-Ohren-Arzt in die Wege geleitet, aber auch Phoniater überweisen ihre Patienten in die Chirurgie, wenn sich eine
organische Behinderung als Ursache für Schluck- und Sprechbeschwerden herausstellt.