Muskelschwund: Informationen & Ärzte für Muskelschwund

06.10.2022
Dr. Claus  Puhlmann
Medizinischer Fachautor

Muskelschwund bezeichnet man auch als Muskelatrophie oder Muskeldystrophie. Der Begriff meint den Abbau von Muskulatur im Allgemeinen und umfasst ein weites Spektrum an muskulären Erkrankungen. Zu unterscheiden sind Muskelschwund durch zu wenig Bewegung und Muskelschwund als eigenständige neuromuskuläre Erkrankung.

Hier finden Sie weiterführende Informationen sowie ausgewählte Muskelschwund-Spezialisten und Zentren.

ICD-Codes für diese Krankheit: M62.5

Empfohlene Ärzte für Muskelschwund

Kurzübersicht:

  • Was ist Muskelschwund? Der Abbau von Muskulatur aufgrund verschiedener Ursachen. In der Regel versteht man darunter eine neuromuskuläre Erkrankung und nicht den Verlust von Muskelmasse aufgrund körperlicher Inaktivität.
  • Formen: Myogener Muskelschwund (die Muskeln selbst sind erkrankt), neurogener Muskelschwund (die Muskeln werden nicht ausreichend versorgt).
  • Ursache: Ein genetischer Defekt, eine Autoimmunerkrankung sowie weitere Erkrankungen wie Krebs oder HIV.
  • Symptome: Schwierigkeiten mit alltäglichen Bewegungen, Schluck- und Sprechstörungen, Kraftlosigkeit, eingeschränkte Organfunktionen, verlangsamte körperliche Entwicklung bei angeborenem Muskelschwund.
  • Behandlung: Die Erkrankung kann nicht geheilt, sondern nur ihre Auswirkungen abgemildert werden. Optionen sind: Medikamente, Physiotherapie, Ergotherapie, Elektrotherapie, Ultraschalltherapie, Massagen und Bäder und weitere.
  • Prognose: Die Aussichten hängen von der Krankheitsursache ab. Demnach kann die Erkrankung nur leicht verlaufen und Lebensqualität und Lebenserwartung kaum einschränken, sie kann aber auch zum Tod noch im jungen Alter führen.

Artikelübersicht

Was ist Muskelschwund?

Über 600 Muskeln stützen und bewegen den Körper. Sie sind zudem an verschiedenen Organfunktionen beteiligt.

Muskelschwund (ICD-Code: M62.5) meint grundsätzlich den Abbau von Muskelmasse. Dafür gibt es verschiedene Ursachen, darunter z. B.

Muskelschwund kann aber auch bereits angeboren sein.

Die Erkrankung betrifft nur relativ wenige Menschen. In Deutschland leben geschätzt 50.000 bis 300.000 Betroffene mit Muskelschwund.

Muskulatur Muskeln
Muskelapparat des Menschen © adimas / Fotolia

Muskelerkrankungen und Muskelschwund sind bislang noch nicht vollständig wissenschaftlich erforscht.

Inzwischen sind rund 800 Formen von Muskelerkrankungen bekannt. Daher ist es bisher noch nicht gelungen, passgenaue Medikamente für die unterschiedlichen Formen des Muskelschwunds bereitzustellen.

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Je nach Ausprägung und Kontext der Erkrankung kann Muskelschwund sehr unterschiedlich verlaufen. Manche Menschen sind mit dieser Erkrankung kaum eingschränkt. Andere können in einem relativ kurzen Zeitraum schwere Symptome entwickeln. Auch ein frühzeitiger Tod ist möglich.

Muskelerkrankungen verlaufen in Schüben, das heißt unregelmäßig und unterschiedlich fortschreitend.

In der Mehrzahl der Fälle ist eine Heilung nicht möglich, auch eine spontane Heilung auf natürliche Weise kommt nicht vor.

Ursachen: Begleitsymptom von Inaktivität und Gendefekten

Muskelschwund durch fehlende Bewegung

Werden Muskeln nicht genutzt, baut der Körper sie ab, da Muskeln viel Energie benötigen. Bei körperlicher Inaktivität und Bettlägerigkeit bilden sich daher viele Muskeln zurück. Besonders Senioren mit einem inaktiven Lebensstil tragen ein Risiko für diese Art des Muskelschwunds.

Nach einigen Tagen Bettruhe ist dieses Phänomen schon deutlich zu spüren. Patienten klagen dann über eine kraftlose Mattheit. Sie benötigen dann etwas Zeit, um zu Kräften und ihrem früheren Aktivitätslevel zu kommen.

Deshalb werden Patienten während eines Krankenhausaufenthalts schnellstmöglich physiotherapeutisch mobilisiert. Dann bleibt die Muskulatur weitgehend erhalten.

Mobilisierung gegen Muskelschwund
Mobilisierung und Bewegung beugen Muskelschwund im Alter vor. © gewitterkind / Fotolia

Muskelschwund als eigenständige Erkrankung

Bei Muskelschwund als neuromuskulärer Erkrankung sind hingegen Nerven und Muskeln betroffen. Die Krankheit schreitet unaufhörlich fort.

Sind die Muskeln selbst erkrankt, spricht man von myogenem Muskelschwund, auch Myodystrophie oder Myopathie genannt.

Von neurogenem Muskelschwund (spinale Muskelatrophie) spricht man, wenn die Ursache in den nervenversorgenden Zellen liegt.

Zu den myogenen Formen gehören

  • die Muskeldystrophie Typ Duchenne (Duchenne-Muskeldystrophie, DMD) und
  • die Muskeldystrophie Typ Becker (Becker-Muskeldystrophie, BMD).

Diese Erkrankungen kommen fast ausschließlich beim männlichen Geschlecht vor.

Bei der Duchenne-Muskeldystrophie besteht im Gen für Dystrophin ein Defekt. Dystrophin kommt in der Zellmembran von Muskelfasern vor und spielt eine essenzielle Rolle bei der Muskelkontraktion. Fehlt dieses Protein, wie bei Kindern mit DMD, kommt es zu Störungen in der motorischen Entwicklung.

Die meisten Kinder mit DMD können niemals springen oder rennen und ihr Gang ist unsicher. Zwischen 6 und 13 Jahren verlieren sie in der Regel die Fähigkeit, eigenständig zu gehen. Aufgrund einer Herzmuskelerkrankung oder unzureichender Atmung versterben die Patienten meist im frühen Erwachsenenalter.

Dagegen kommt es bei der Becker-Muskeldystrophie aufgrund von Genveränderungen zu einem Mangel von Dystrophin. Dies hat ebenfalls einen fortschreitenden Muskelschwund und -schwäche zur Folge. Die Lebenserwartung ist jedoch nur leicht oder gar nicht eingeschränkt.

Bekannte Formen der neurogenen Muskelatrophie sind

  • die Werdnig-Hoffman-Krankheit (proximale spinale Muskelatrophie Typ 1, SMA1) und
  • die Kugelberg-Welander-Krankheit (proximale spinale Muskelatrophie Typ 3, SMA3)

Die Krankheiten wurden nach den Wissenschaftlern benannt, die sie erforscht haben. Die Erkrankungen sind ebenfalls genetisch vererbt, kommen aber bei Jungen und Mädchen vor.

SMA3 zeigt sich erst nach dem Erlernen des Laufens durch Schwierigkeiten beim Gehen etc. Sie schreitet nur langsam fort.

Die SMA1 tritt innerhalb der ersten drei Lebensmonate auf. Sie ist hinsichtlich der Symptomatik deutlich stärker ausgeprägt.

Kinder mit SMA1 versterben häufig innerhalb der ersten 2 Lebensjahre, bei Kindern mit SMA3 ist die Lebenserwartung meist normal.

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Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine neurodegenerative Erkrankung. Sie tritt erst im höheren Erwachsenenalter auf. Das mittlere Erkrankungsalter beträgt etwa 60 Jahre.

Bei der ALS kommt es im zentralen oder peripheren Nervensystem zu einer Schädigung bestimmter Nervenzellen (Motoneurone). Dies beeinflusst die Muskulatur und damit die Motorik. Abhängig davon, welche Motoneurone betroffen sind, kann es unter anderem zu

  • Gehstörungen,
  • Zuckungen,
  • Lähmungen,
  • Missempfindungen auf der Haut,
  • Sprachstörungen und
  • Schluckstörungen

kommen. Die Lähmungen schreiten immer weiter voran. Daher führt die Erkrankung in der Regel innerhalb von einigen Jahren aufgrund von Atemversagen zum Tod.

Nur etwa 5 bis 10 Prozent der ALS-Fälle sind familiär bedingt (vererbt), die meisten entstehen spontan.

Die wichtigsten Ursachen von Muskelschwund im Überblick:

  • Alter oder Unterernährung
  • Körperliche Inaktivität oder (notwendige) Bettruhe
  • Genetische Mutationen, wodurch es zu Störungen in der Muskelaktivität und des Nervensystems kommt
  • Autoimmunkrankheiten
  • Andere Krankheiten wie Krebs oder HIV-Infektionen

Erste Anzeichen und Symptome von Muskelschwund

Die ersten Anzeichen für Muskelschwund werden oft übersehen oder heruntergespielt. Das können

  • Schwierigkeiten mit alltäglichen Bewegungen, zum Beispiel beim Treppensteigen und Gehen, oder
  • Schluck- und Sprechstörungen 

sein. Auch eine veränderte Körperhaltung gehört zu den Symptomen. Die Skelettmuskulatur ist dann nicht mehr in der Lage, das Skelett vollständig zu stützen.

Kinder mit angeborener Muskelschwäche aufgrund eines Gendefekts zeigen eine verlangsamte körperliche Entwicklung. Im Vergleich zu Kindern ihrer Altersgruppe sind ihre Bewegungsmuster untypisch, zum Beispiel beim

  • Hinsetzen,
  • Aufstehen oder
  • Gehen.

Kinderärzte beobachten deshalb in den regelmäßigen Untersuchungen die Entwicklungsfortschritte des Kindes.

Physiotherapie Kind
Physiotherapie hilft Kindern mit Muskelschwund © Picture-Factory / Fotolia

Eine frühe Diagnose bereits bei der Geburt hilft betroffenen Kindern. Passende Therapien und orthopädische Hilfsmittel fördern die körperliche Entwicklung des Kindes. 

Betroffene Personen mit Muskelschwund verspüren eine deutliche Kraftlosigkeit. Sie können darüber hinaus unter einer eingeschränkten Organfunktion leiden.

Baut die Muskulatur weiter ab,

  • fällt das Atmen schwer,
  • die Verdauungsaktivität wird eingeschränkt und
  • das Herz geschwächt.

Ist die Erkrankung stark ausgeprägt, bringt der Muskelschwund die lebenswichtigen Organfunktionen zum Erliegen. Sind die Atmung oder das Herz betroffen, wird der Muskelschwund zur lebensbedrohlichen Krankheit.

Abgrenzung zur Multiplen Sklerose

Auch bei der Multiplen Sklerose entstehen Muskelerkrankungen. Muskelschwund hängt jedoch nur bedingt mit Multipler Sklerose zusammen. Der Unterschied liegt vor allem in den Ursachen und Symptomen.

Multiple Sklerose ist eine chronische entzündliche Erkrankung der Nerven. Die Myelinscheide, also die elektrisch isolierende Außenschicht der Nervenfasern, wird schubweise zerstört. Bei der Multiplen Sklerose handelt es sich also um eine neurologische Krankheit, bei der es in der Folge zu Störungen der Muskelzellen kommt.

Multiple Sklerose ist auch als die „Krankheit der 1000 Gesichter“ bekannt, da die Symptome äußerst vielfältig sein können: Muskelschwund ist eines davon.

Therapie

Muskelschwund beeinflusst den ganzen Körper und seine Funktionen. Daher benötigen Patienten mit Muskelschwund eine umfassende therapeutische Versorgung für alle Lebensbereiche. Eine Heilung ist nur bei Muskelschwund aufgrund von Inaktivität heilbar. Ansonsten können nur die Beschwerden gelindert werden.

Ziel der Behandlung ist die Verbesserung der Lebensqualität und der Lebenserwartung. Auch die Selbstständigkeit des Betroffenen soll gesteigert werden. Zum Einsatz kommen die folgenden Therapien und Methoden:

  • Physiotherapie mit speziellen Übungen zur Kräftigung und Beweglichkeit
  • Ergotherapie zum Training der Alltagsaktivitäten (ATL/ADL)
  • Elektrotherapie
  • Massagen und Bäder
  • Ultraschalltherapie
  • Logopädie (Sprechtraining) und Schlucktherapie
  • Unterstützungsmaßnahmen für Atem- und Herzfunktionen, wie die Atemunterstützung
  • Frühzeitige Behandlung von Infektionen und Komplikationen
  • Operationen wie etwa Sehnenverkürzungen oder Eingriffe an der Wirbelsäule
  • Hilfsmittelversorgung für das Gehen und Stehen (zum Beispiel ein Rollator) beziehungsweise ein Rollstuhl
  • Psychologische Betreuung und sozialmedizinische Unterstützung auch für die Angehörigen
  • Medikamentöse Behandlung der Grunderkrankung (zum Beispiel Steroide bei der Duchenne-Muskeldystrophie oder Riluzol bei ALS)

Bei einigen Betroffenen hilft die Enzymersatztherapie, etwa bei der Glykogenspeichererkrankung Morbus Pompe. Die Enzymersatztherapie ist eine Behandlung mit speziellen Eiweißen, die bei einigen Patienten im Körper fehlen. Die Enzymersatztherapie ist ein Verfahren, das vom Prinzip her der Diabetesbehandlung ähnelt. Sie ersetzt meist lebenslang den fehlenden Stoffwechselbaustein.

Auch im Bereich der Gentherapie gibt es erste Erfolge im Labor. So können zum Beispiel bei der spinalen Muskelatrophie die defekten Gene durch funktionierende Gene ersetzt werden. Der Körper kann danach die fehlenden Proteine wieder bilden.

Mediziner haben große Hoffnungen, dass seltene, erblich bedingte neuromuskuläre Erkrankungen zukünftig mit Methoden der Gentherapie behandelt werden können.

Prognose

Die Prognose hängt von den Ursachen des Muskelschwunds ab. Liegt der Erkrankung eine genetische Störung zugrunde, gilt Muskelschwund aber als irreversibel und nicht heilbar.

Die jeweilige Form der Muskel- bzw. neurologischen Erkrankung entscheidet über den Verlauf und die Lebenserwartung der Betroffenen. Es gibt Fälle mit so langsamem Verlauf, dass die Lebenserwartung und Lebensqualität kaum eingeschränkt sind. Bei ungünstigen Verläufen nimmt die Muskelfunktion rapide ab. Betroffene sterben meist im jungen Erwachsenenalter, manchmal sogar im Kleinkindalter.

Die Reduzierung von Muskelmasse kann aber auch eine Folge von Inaktivität sein. Deshalb sind Mobilisierung und Mobilität bei Senioren und bettlägerigen Personen wichtige Unterstützungsmaßnahmen.

Quellen

  • aerzteblatt.de (2017) Duchenne: Steroide verlangsamen Muskelschwund. Ärzteblatt vom 27. November 2017
  • Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V. Spinale Muskelatrophie (SMA). Diagnosestellung und Behandlung bei SMA Patienten. TREAT-NMD, München
  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie (2015) Amyotrophe Lateralsklerose (Motoneuronerkrankung). AWMF-Registernummer:030/001
  • Grisold W (2018) Gentherapien sind für seltene, erblich bedingte neuromuskuläre Erkrankungen die große Zukunftshoffnung. Pressemitteilung zum International Congress on Neuromuscular Diseases, https://www.pressetext.com/news/20180706024
  • Muskeldystrophie-Netzwerk e.V. (MD-NET) (2010) Diagnose und Behandlung der Muskeldystrophie Duchenne. Ratgeber für Familien. München
  • Orphanet (2009, 2011) Artikel: Muskeldystrophie Typ Duchenne. Muskeldystrophie Typ Becker. Spinale Muskelatrophie, proximale, Typ 1. Spinale Muskelatrophie, proximale, Typ 3. Amyotrophe Lateralsklerose. Orphanet - Das Portal für seltene Krankheiten und Orphan Drugs
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