Epilepsie bei Kindern: Informationen & Spezialisten für Kinderepilepsie

24.04.2022
Dr. med. Cornelia Bußmann
Medizinische Fachautorin

Epilepsie ist die häufigste chronische Erkrankung des Nervensystems. Im Kindesalter tritt sie häufiger auf als die viel besser bekannten chronischen Erkrankungen wie Diabetes oder Rheuma. Ca. 1 Prozent der Bevölkerung in Europa leidet unter Epilepsie, 50 bis 60 Prozent treten im Kindesalter auf. Bei optimaler Therapie können mehr als 70 Prozent der Patienten anfallsfrei werden. Voraussetzung für die bestmögliche Therapie ist die korrekte Diagnose der Epilepsie bzw. des Epilepsiesyndroms.

Hier finden Sie weiterführende Informationen sowie ausgewählte Spezialisten und Zentren für Epilepsie bei Kindern.

ICD-Codes für diese Krankheit: G40, G41

Empfohlene Spezialisten für Epilepsie bei Kindern

Artikelübersicht

Der Begriff 'Epilepsie' leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet 'ergriffen' oder 'gepackt' sein. Damit wird gut beschrieben, dass dem betroffenen Mensch 'etwas passiert', das er nicht selbst steuern kann.

Etwa 5 Prozent aller Menschen erleiden im Laufe ihres Lebens einen epileptischen Anfall. Ein einzelner Anfall ist noch nicht gleichbedeutend mit einer Epilepsie. Unter bestimmten Bedingungen kann jeder Mensch einen epileptischen Anfall erleiden, z.B. bei einer schweren Kopfverletzung oder einer akuten Erkrankung.

Von Epilepsie spricht man erst dann, wenn sich epileptische Anfälle ohne äußere Provokation wiederholen.

Epilepsie im Kindesalter rechtzeitig erkennen

Über die Hälfte aller Epilepsien beginnen im Kindesalter.

Wenn die Epilepsie nicht erkannt wird, kann für das Kind je nach Anfallsform ein hohes Verletzungsrisiko bestehen. In anderen Fällen führen unerkannte Anfälle zu Lernproblemen bis hin zum Schulversagen.

Daher ist das rechtzeitige Erkennen von Anzeichen einer Epilepsie im Kindesalter wichtig. So können die Ärzte eine fachgerechte kinderneurologische Behandlung einleiten.

Das Auftreten von epileptischen Krampfanfällen kann auch das erste Symptom einer anderen Erkrankung sein. Möglich wäre z.B.

In diesen Fällen ist eine schnelle und spezialisierte Diagnostik besonders wichtig.

Kind mit epileptischem Anfall
Ein "Grand mal-Anfall" bei einem Kind © Satjawat | AdobeStock

Welche Anfallsformen gibt es bei Kindern?

Epileptische Anfälle entstehen aufgrund einer häufig nur kurz andauernden Funktionsstörung von Nervenzellen im Gehirn. Sie können sich als

  • plötzliche motorische Phänomene und
  • Änderungen des Bewusstseins, Verhaltens und Fühlens

darstellen. Man unterscheidet zwei große Gruppen von Anfällen:

  • generalisierte Krampfanfälle, die das ganze Gehirn betreffen und
  • fokale Krampfanfälle, bei denen die Funktionsstörung nur in einem umschriebenen Gehirnareal beginnt.

In einigen Fällen kann sich die Funktionsstörung bei den fokalen Anfällen im Verlauf des Anfalls auch auf das ganze Gehirn ausbreiten. Das nennt man eine sekundäre Generalisation.

Viele Menschen denken bei Epilepsie zunächst an dramatisch anzusehende Anfälle mit

  • Muskelzuckungen (klonisch),
  • verkrampften Muskeln (tonisch) und
  • Bewusstseinsverlust

Das sind sogenannte Grand mal-Anfälle.

Doch epileptische Anfälle können auch ganz anders aussehen:

  • Unmotiviertes Herumnesteln an einem Kleidungsstück über wenige Augenblicke,
  • Kurzzeitiges Schlucken und Schmatzen ohne Grund,
  • Zucken einer Hand/einer Extremität,
  • Auftreten von seltsamen, nicht erklärbare Sinneswahrnehmungen (Auren),
  • Kurzzeitiges "Weggetreten-Sein" (Absence).

Nicht bei allen Anfällen kommt es zu einem Bewusstseinsverlust. Bei einem Teil der epileptischen Anfälle ist das Bewusstsein vollständig erhalten, bei einigen ist das Bewusstsein eingeschränkt.

Wahrnehmung von Aura-Symptomen

Fokale epileptischen Anfälle beginnen häufig mit einer sogenannten Aura: Die betroffenen Kinder bemerken dabei ungewöhnliche Sinneseindrücke, wie zum Beispiel

  • Kribbeln in einer Extremität,
  • Sehstörungen,
  • Halluzinationen oder
  • merkwürdige Geschmacks- oder Geruchseindrücke.

Andere spüren seltsame Empfindungen im Bauch oder vom Bauch her aufsteigend (epigastrische Sensationen). Einige Kinder erkennen an der Aura, dass ein größer Anfall kurz bevorsteht. Eine Aura kann aber ebenso gut das einzige Symptom eines Anfalls sein und bleiben.

Eine Aura ist ein kurzer Anfall, der in einer sehr begrenzten Region des Gehirns abläuft. Sie kann in der Regel nicht von Außenstehenden beobachtet werden, da es sich um eine reine Sinneswahrnehmung handelt.

Aura-Symptome ermöglichen Rückschlüsse auf die anfallsauslösende Hirnregion. Daher ist es wichtig, Kinder mit einer Epilepsie genau danach zu befragen.

Absencen

Absencen sind sehr unauffällige epileptische Anfälle. Sie bleiiben daher möglicherweise zunächst unbemerkt. Sie sind durch eine kurze Abwesenheit mit fehlender Ansprechbarkeit und Erinnerungslücke gekennzeichnet.

Absencen kommen bei Klein- und Schulkindern am häufigsten vor. Außerdem sind sie bei Kindern allgemein die mit Abstand häufigste Form epileptischer Anfälle. Auch bei Jugendlichen und Erwachsenen kommen sie vor. Mit zunehmendem Alter werden sie aber immer seltener.

Weil Absencen so kurz sind und die Betroffenen selbst nichts merken, bleiben sie oft lange unerkannt. Sie werden als Unaufmerksamkeit („verträumte“ Kinder, „Hans Guck-in-die-Luft“) oder – besonders in der Schule – auch als Konzentratiosstörung oder fehlender Wille missverstanden.

Säuglingsepilepsien

Im Säuglingsalter können epileptische Krampfanfälle sehr uncharakteristisch aussehen. Sie äußern sich bei sehr jungen Säuglingen häufig als Atempause (Apnoe) oder kurzes Innehalten z.T. begleitet von

  • einem Abweichen der Augen zu einer Seite (Augendeviation),
  • Lidflattern oder
  • rollenden/zuckenden Augenbewegungen (Nystagmus).

Sofern Muskelzuckungen (Kloni) auftreten, betreffen diese oft nur eine umschriebene Körperregion, die im Laufe eines Anfalls auch wechseln kann. Weitere Anfallssymptome können wiederholtes Schmatzen oder Vorschieben der Zunge sein.

Bei einer anderen Anfallsform im Säuglingsalter reißen Kinder plötzlich schreckhaft die Augen auf und reißen beide Arme zur Seite hoch. Dies wiederholt sich mit kurzen Pausen in Serien.

Diese so genannten BNS-Anfälle (Westsyndrom) können unbehandelt zu einem Entwicklungsstillstand oder sogar Entwicklungsrückständen führen. Deswegen müssen sie frühzeitig als Epilepsieform erkannt werden.

Epileptische Anfälle sind insbesondere im jungen Säuglingsalter auch für Experten nicht immer leicht zu erkennen. Daher sollten Eltern versuchen, die fraglichen Zustände in einem Video zu dokumentieren.

Eher anfallsverdächtig sind Episoden, die

  • sich in gleicher Art und Weise mehrfach wiederholen und untypisch für das Alter des Kindes erscheinen,
  • nicht durch Berührung des Kindes gestoppt und andererseits auch nicht nur durch Lageveränderung des Kindes ausgelöst werden können.

Säuglingsmyoklonien

Viel häufiger als epileptische Anfälle gibt es im Säuglingsalter eine Vielzahl von gutartigen nicht-epileptischen motorischen Phänomenen. Zu diesen gehören u.a. Schlafmyoklonien. Es handelt sich dabei um kurze rhythmische Zuckungen, die nur im Schlaf auftreten. Durch Wecken des Kindes können sie unterbrochen werden.

Auch wenn Zuckungen (Myoklonien) durch Festhalten der betroffenen Extremität zu unterbrechen sind, spricht das gegen ein epileptisches Phänomen.

Diagnostik nach dem ersten epileptischen Anfall eines Kindes

Jeder erste epileptische Anfall kann das erste und möglicherweise über längere Zeit auch das einzige Zeichen einer akuten Schädigung des Gehirns sein. Deshalb muss er immer Anlass zu einer möglichst umgehenden Untersuchung beim Kinderarzt bzw. Kinderneurologen sein.

Vom Ergebnis dieser Untersuchung hängen alle weiteren Entscheidungen ab. Die Diagnostik umfasst

  • die Messung der Hirnstromkurven (Elektroenzephalographie = EEG),
  • eine Blutuntersuchung und
  • zum Ausschluss einer anderen Ursache oftmals noch ein Elektrokardiogramm (EKG).

Je nach Befund können weitere Untersuchungen wie eine Kernspintomographie (MRT) erforderlich sein. In Einzelfällen kommt eine Lumbalpunktion zur Untersuchung des Hirnwassers zum Einsatz.

Ein normales EEG kann eine Epilepsie nicht sicher ausschließen. Bei einigen Kindern sind wiederholte EEG-Ableitungen oder sogar spezielle EEG-Untersuchungen wie

  • ein Schlaf-EEG oder
  • ein Langzeit-EEG

erforderlich.

Therapie einer Epilepsie bei Kindern

Die primäre Therapie einer Epilepsie bei Kindern erfolgt medikamentös. Die Wahl des Antiepileptikums richtet sich vor allem nach dem vorliegenden Epilepsiesyndrom. Je genauer die Epilepsie des Kindes einem speziellen Epilepsiesyndrom zuzuordnen ist, desto gezielter kann die Behandlung erfolgen.

Bei optimaler Therapie werden mehr als 70 Prozent der Kinder dauerhaft anfallsfrei.

Sofern medikamentös keine Besserung auftritt, kann ein epilepsiechirurgischer Eingriff infrage kommen. Dies ist nur bei einer fokalen Epilepsie möglich, d.h. einer Epilepsie, die ihren Ursprung in einer ganz umschriebenen Hirnregion nimmt.

Eine andere Behandlungsmöglichkeit besteht in einer speziellen Diät (ketogene Diät). Die Patienten nehmen dabei eine kohlenhydratarme, sehr fettreiche Nahrung zu sich. Da diese Diät große Einschränkungen in der Lebensqualität mit sich bringt, wird sie nur bei sehr schweren Epilepsieformen eingesetzt.

In der Regel keine Anfallsfreiheit, aber eine deutliche Anfallsreduktion kann mit Hilfe eines elektrischen Stimulators erzielt werden. Er wird wie ein Herzschrittmacher unter dem Schlüsselbein unter die Haut implantiert (Vagusnervstimulator = VNS). Durch regelmäßige Stimulation eines Hirnnerven, des Vagusnerven, können epileptische Anfälle unterdrückt werden.

Schulung für Familien betroffener Kindern

Die Diagnose der Epilepsie bei einem Kind ist für die meisten Familien ein einschneidendes Ereignis. Die Familie sollte wo immer möglich an speziellen Schulung teilnehmen.

Das modulare Schulungsprogramm Epilepsie für Familien (FAMOSES) bietet für betroffene Familien separate Eltern- und Kinderschulungen an. Die Eltern

  • erhalten Informationen zur Diagnose Epilepsie,
  • reflektieren vorherrschende Einstellungen und Meinungen und
  • erarbeiten Strategien und Verhaltensweisen für den Alltag.

Im Umfeld der Kinder (Freundeskreis, aber auch Kindergarten und Schule) herrscht häufig eine große Unsicherheit bezüglich der Diagnose und dem Umgang mit dem an einer Epilepsie erkrankten Kind.

Dabei gilt zunächst zu vermitteln, dass es nicht die EINE Epilepsie gibt. Es handelt sich vielmehr um ein sehr heterogenes Krankheitsbild mit individuellen Verläufen und Umgebungsbedingungen.

Die Mehrzahl aller Kinder mit einer Epilepsie sind normal intelligent. Es können aber häufiger Teilleistungsstörungen oder Aufmerksamkeitsprobleme auftreten. Ursache dafür ist zum Teil die Epilepsie selbst, zum Teil aber auch die Nebenwirkungen der Therapie.

Sofern das Umfeld darauf vorbereitet ist, kann dies frühzeitig erkannt und das Kind durch entsprechende Maßnahmen unterstützt werden.

Quellen

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  • Dunn DW, Kronenberger WG: Childhood epilepsy, attention problems, and ADHD: review and practical considerations. Semin Pediatr Neurol 2005; 12: 222–8.
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